Immer wieder sonntags – Reisen auf den Balkan

Vor fünfzig Jahren fuhr ich als Schlafwagenschaffner an die bulgarische Schwarzmeerküste. Nun kehre ich mit dem Studium der Geschichte Südosteuropas dorthin zurück.

Ende Mai 1974 kam ich von meiner ersten Reise auf den Balkan zurück. Nicht als Tourist, aber im Touristenexpress. Regelmäßig fuhr ich in diesem Sommer als Schlafwagenschaffner von Dresden nach Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Das als „Tourex“ bezeichnete rollende Hotel der Mitropa für Reisegruppen bestand aus zehn Schlaf-, zwei Speise- und einem Vorratswagen.

Der Zug fuhr Woche für Woche am Freitagmittag in Dresden ab und kam nach rund 45 Stunden am Zielort an, vorausgesetzt, es gab auf der 2092 Kilometer langen Strecke keine Verspätungen. Die Reisegesellschaft war bunt gemischt und entsprach nicht dem heute verbreiteten Klischee einer Funktionärselite. Jeder Schlafwagenschaffner betreute in seinem Waggon dreißig Gäste, die meist nach wenigen Stunden Fahrt bereits in Urlaubsstimmung waren. Standen ihnen doch zwei Wochen Sommer, Sonne und Strand bevor. Die Zugreise bot für die meisten Leute spannende neue Eindrücke: die Donau in Bratislava, die Puszta in Ungarn, Siebenbürgen und Karpaten in Rumänien. Außerdem sorgten flotte Bordmusik, vier Mahlzeiten im Speisewagen sowie Wein und Bier für gute Laune während der langen Fahrt. Als Schlafwagenschaffner war man ein gefragter Gesprächspartner.

In Varna stiegen die erholten Urlauber nach zwei Wochen wieder in den „Tourex“ und erlebten eine abwechslungsreiche Rückfahrt, die knapp drei Tage dauerte. In Bukarest und Budapest gab es mehrstündige Aufenthalte mit Stadtrundfahrten für die Touristen. Als Schlafwagenschaffner konnte man die Städte allein erkunden, was ich recht ausgiebig tat.

Melnik – Bulgarien

Fünfzehn Jahre später, im Frühsommer 1989, flogen wir mit einer Reisegruppe in die bulgarische Hauptstadt Sofia. Von dort aus ging es nach zwei Tagen weiter mit dem Bus in den Süden. Wir kamen in die Nähe der griechischen Grenze. Auf Tafeln neben der Straße wurde, auch in deutscher Sprache, davor gewarnt, das Sperrgebiet zu betreten. Den Wein in Melnik ließen wir uns dennoch schmecken. Unsere dritte Reiseetappe führte ins Gebirge. Jedoch durften wir nicht in das ursprünglich vorgesehene Gebiet fahren. Dort eskalierte gerade der Konflikt zwischen der bulgarischen Staatsmacht und der überwiegend muslimisch geprägten türkischen Minderheit. Diese widersetzte sich der Zwangsassimilierung. Etwa 350.000 Leute flohen in die Türkei. Da war ich schon ziemlich nahe dran an der großen Geschichte des Balkans. Doch es blieb wenig Zeit, sich näher damit zu beschäftigen. Wenige Monate nach unserer Reise fiel die Mauer in Berlin. Zu den vielen Folgen dieses Ereignisses gehörte auch die einfache Tatsache, dass wir nicht mehr nur bulgarischen Wein tranken, sondern auch griechischen. Die Tavernen hatten wir in West-Berlin gleich vor der Haustür.

Fünfzig Jahre nach meiner ersten Reise auf den Balkan beginne ich gerade, die Geschichte Südosteuropas genauer zu studieren. Eine Region, die an Mitteleuropa grenzt, mit dem ich mich in den vergangenen Jahren ausführlich beschäftigt habe.

Jetzt lerne ich, mich möglichst von dem oft negativ besetzten „Balkan-Begriff“ zu lösen, zu dem seit 2015 auch die „Balkan-Routen“ gehören. Wenn ich schon den Namen des Gebirges mit verwenden will, dann als Balkan-Halbinsel. Diese liegt zwischen der Adria im Westen, der Ägäis im Süden und dem Schwarzen Meer im Osten. Die nördliche Grenze bilden die Flüsse Donau und Save.

Also kam ich „Immer wieder sonntags“, wenn der „Tourex“ in den frühen Morgenstunden die Donau zwischen dem rumänischen Giurgiu und dem bulgarischen Russe überquerte, auf die Balkanhalbinsel.

 

Nachtrag: Der Schlager „Immer wieder sonntags“ war 1973 ein Hit in der Bundesrepublik und wurde im Jahr darauf auch im Bordradio des „Tourex“ gespielt. Den Text „Jeden Sonntag kamen sie herüber, unsre Musikanten aus Athen. Jeden Sonntag waren sie uns lieber…“  nahm ich damals einfach hin.   [Quelle: www.songtexte.com]

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