Wir sind wieder im Bayerischen Wald gewesen. Zwischen seinem Vorderen und Hinteren Teil. Der hintere Bayerische Wald bildet mit dem Böhmerwald eine geologische Einheit und erhielt erst Anfang des 19. Jahrhunderts das Attribut „Bayerisch“. Weil seitdem das Territorium zwischen Donau und Arber gänzlich zum Königreich Ludwig I. gehörte. Bis dahin hatten die Bistümer Regensburg und Passau dort größere eigene Besitzungen. Das lernte ich schon während der Sommerreise im Jahre 2018, über die ich meine ersten Hinterwäldler–Gedanken schrieb.
Die Geschichte des Bayerischen und des Böhmischen Walds ist eng mit der Kulturgeschichte des Glases verbunden. Das wusste ich ebenfalls schon. Deshalb hatte ich erwartet, im Glasmuseum Frauenau vor allem Glas in seinen verschiedenen Formen und Facetten zu sehen. Das ist auch so. Doch die bereits im Jahre 2005 eröffnete Ausstellung verknüpft zugleich Kunst und Technik auf wunderbare Weise mit zeitgeschichtlichen Hintergründen. Und so bereicherte der Rundgang meine aktuellen Studien zur Geschichte Mitteleuropas (und darüber hinaus). Auf einer Tafel über die Bildfenster des Regensburger Doms las ich zum Beispiel “ Das Meisterwerk der spätmittelalterlichen Glasmalerei erzählt von Menschen und städtischem Leben, von Regensburg, Böhmen und Europa…“ Das ist sie, die enge Verbindung von Bayern und Böhmen als wichtige Länder und Akteure in Mitteleuropa. Ihre dunklen Seiten folgen im nächsten Raum. Hier wird über die ab 1945 aus Böhmen vertriebenen deutschen Glasbläser und Glasveredler berichtet, die sich im nahen Bayerischen Wald ansiedelten und am Nachkriegs-Aufschwung der heimischen Glasindustrie teilhatten. Auf dem Friedhof von Frauenau stehen ihre Grabsteine und machen nachdenklich.
Schon die böhmischen Glasmacher der frühen Neuzeit hatten Kunde und Kenntnis von der Arbeit ihrer venezianischen Kollegen und eiferten diesen nach. Und so wandern meine Hinterwäldler-Gedanken zurück ins Jahr 2013, als ich mit Schweizer Verkehrsingenieuren eine Studienreise nach Venedig unternahm. An einem sonnigen Nachmittag legte unser Ausflugsboot am Ufer der Insel Murano an, dem Herz der venezianischen Glasherstellung. Wir schauten den Glasbläsern zu und fast alle ließen sich zum Kauf animieren. Eine farbige Glasschale erinnert mich an diesen tollen Ausflug.
Noch einmal zurück ins bayrische Frauenau. Außer dem Museum kann man in seinem Umfeld und in den örtlichen Glasfabriken auch „Gläserne Gärten“ bestaunen. Glas ist hier ein Stoff, der verbunden mit anderen für moderne Kunst genutzt wird. Sehenswert!
Die kurze Reise von unserem Ferienort nach Frauenau unternahmen wir mit der Waldbahn. Die meisten Fahrgäste waren Urlauber wie wir, die ihre Kurkarten als Tickets nutzen durften. Eine sehr gute und praktische Angelegenheit.
Die Waldbahn wirbt auch umfänglich dafür, mit ihr durch „Bayrisch Kanada“ zu fahren, entlang des Flusses Regen zwischen den Orten Gotteszell und Viechtach. Es soll dort wildromantisch sein. Aber auch für einige Einwohner ist der Verkehr auf dieser Strecke wichtig geworden und sie wollen nicht mehr darauf verzichten. Wenige Tage bevor wir ankamen, hatte die bayrische Verkehrsministerin erklären lassen, dass der bis 2021 vereinbarte (Probe-)Betrieb nicht verlängert und die Strecke wieder stillgelegt werden sollen. Die für einen (teil-) rentablen Betrieb erforderlichen Fahrgastzahlen würden nicht erreicht. Das dürfte glaubhaft sein und führte dennoch zu massiven Protesten. Nicht nur die regionale Politprominenz meldete sich zu Wort und ließ ihre Kontakte nach München spielen, auch das Volk ging auf die Straße. Die Ministerin musste vorgestern einen Rückzieher machen und fürs erste fährt die Waldbahn auch nach 2021 durchs bayrische Kanada.
Der Hinterwäldler macht sich seine Gedanken: Hinter dem Wald ist auch vor dem Wald. Je nachdem, wo man sich befindet. Also eine Frage der Perspektive(n).