Verstehen Sie nur Bahnhof?

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Köln mit Dom und Bahnhof                                               Hauptbahnhof Hamburg

Bahnhof verstehen – die Redewendung stammt aus der Zeit des 1. Weltkriegs. Für viele Soldaten war der Bahnhof gleichbedeutend mit Heimat. Kam ein anderes Thema auf, hieß es schnell: Ich verstehe nur Bahnhof. Heute erklingt das meist, wenn jemand etwas schwer begreift oder nicht begreifen will.

Am vergangenen Freitag (08.04.2016) strahlte der WDR die interessante Dokumentation „Geheimnis Kölner Hauptbahnhof“ aus. Thema war nicht die aktuelle Diskussion der letzten Silvesterereignisse, sondern die lange und aufregende Geschichte des Bauwerks. Es gab heftigen Streit über den Neubau des Bahnhofs Ende des 19. Jahrhunderts. Die Gegner wollten ihn nicht mehr in direkter Nachbarschaft zum gerade vollendeten Dom (1880) sehen. Mittlerweile existiert die Dreieinigkeit von Dom, Hauptbahnhof und Hohenzollernbrücke bereits mehr als 120 Jahre. Der Hauptbahnhof ist „das Drehkreuz des Westens. Ihn durchfluten täglich 1300 Züge und 250.000 Reisende – im Jahr über 80 Millionen Menschen. Das sind fast doppelt so viele wie im Frankfurter Flughafen.“ (WDR). Man kann es auch so ausdrücken: Neben der Kathedrale des Glaubens steht die „Kathedrale des Reisens“. Der Ausblick von der Plattform an der Hohenzollernbrücke ist einer meiner Lieblingsplätze in Deutschland. Auf dem Rhein die Frachtkähne und die Passagierschiffe, auf der Brücke und im Bahnhof die Züge. Unten radeln die Leute am Ufer entlang. Alles ist in Bewegung, während man selbst innehält.

Nahezu doppelt so viele Reisende wie in Köln strömen täglich durch den Hamburger Hauptbahnhof. Auch er entstand Ende des 19. Jahrhunderts und liegt unmittelbar am Rand der Innenstadt. Und so wie in Köln drängt er sich zwischen den umliegenden Gebäuden, Straßen und Plätzen. Es braucht schon etwas Ortskenntnis, um sich zurechtzufinden. Anders als in den Kopfbahnhöfen von Frankfurt am Main, Leipzig oder Zürich gelangt man nicht von einem großen Querbahnsteig zu den Gleisen.

Das Problem der Orientierung verschärft sich, wenn aus Kathedralen des Reisens Konsumtempel werden. Beispiel Hauptbahnhof Berlin. Für Reisende ist das architektonisch auffällige Gebäude gelinde gesagt ziemlich unpraktisch. Lange Wege beim Umsteigen, die Aufzüge eher hinderlich, weil auf jeder Etage haltend. Die Bahnsteigzugänge teilweise durch Läden verdeckt. In den Zug nach Basel steige ich lieber am Ostbahnhof ein. Nach dem Fall der Mauer war der Bahnhof Zoologischer Garten der eigentliche Berliner Hauptbahnhof geworden. Natürlich ging es dort sehr eng zu und die Ankommenden fielen fast sprichwörtlich ins Berliner Milieu. Ich fühlte mich nicht unbedingt wohl, wusste aber, angekommen zu sein. Und tauchte in die U-Bahn ab.

Am Bahnhof treffen sich (fast) alle sozialen Schichten. Wenn man ihn „clean“ macht und die Gestrandeten und Gestrauchelten aus dem Gebäude verdammt, wozu oft Anlass besteht, dann bevölkern sie das Umfeld. Die WDR-Dokumentation hat gezeigt, wie das in Köln aussieht und ahnen lassen wie es riecht.

Noch viel trauriger sind Bahnhöfe, deren Gebäude nicht mehr genutzt werden. Ob Bahnhöfe zum Genius Loci gehören wie Rathaus, Schule und Kirche, ist eine Frage, die fast nur aus ökonomischer Sicht beantwortet wird. Positiv, wenn es sich um Shopping Malls mit Gleisanschluss handelt. Doch viel häufiger fällt die Antwort negativ aus. Dann wird verriegelt und verrammelt. Statt buntem Treiben Graffiti an den Wänden. Bahnhöfe sind schlicht nur Immobilien. Doch es spricht einiges dafür, nicht nur die Kirche im Dorf, sondern auch den Bahnhof in der Stadt (leben) zu lassen.

Wie mit Bahnhöfen umgegangen wird, gehört zur Baukultur. Und bleibt ein lohnendes Thema. Alte Bahnhöfe und „Neue Mobilitätsformen“ (Link BBSR) lassen sich wo-möglich zweckmäßig verbinden. Ich hoffe, Sie haben nicht nur Bahnhof verstanden.

 

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