Der erste Eindruck zählt. Kurz nach unserer Ankunft in Schleswig ging ich an die Schlei und auf die Königswiesen. Das was ich sah, faszinierte mich auf Anhieb.
Im Osten ragt der 112 Meter hohe Turm des St-Petri-Doms empor, ihm entgegengesetzt auf der westlichen Seite steht der Wiking-Turm, ein 90 Meter hohes achteckiges Apartmenthaus. Dazwischen ist etwas im Hintergrund der Turm des Gottorfer Schlosses zu entdecken.
Die Schlei, so merkte ich es mir nach der Reisevorbereitung, ist ein Meeresarm der Ostsee, also kein Fluss. Er erstreckt sich etwa 40 Kilometer lang ins Landesinnere. An seinem westlichen Ende liegt Schleswig. Zwischen dem Ufer der Schlei und der Innenstadt befinden sich die Königswiesen. Die weitläufige Grünanlage wurde 2008 im Rahmen der Landesgartenschau neu gestaltet. Als ich dort entlang spazierte, fiel mir der Begriff Stadtlandschaft ein. Der Ostseefjord Schlei und die tausend Jahre alte Stadt verbinden sich hier auf besondere Weise. Keine Seite dominiert die andere, alles wirkt gleichzeitig auf mich ein. Mit einer Einschränkung: Wenn es hart auf hart kommt, sprich der Wind in Sturmstärke von Osten, dann drängt das steigende Wasser an Land. Eine solche Sturmflut ereignete sich, als ich dort gewesen bin. Nicht nur auf den Königswiesen bekam man nasse Füße.
In Schleswig leben etwa fünfundzwanzigtausend Menschen. Das erscheint nicht viel, wenn man sieht, wie weit die Stadt sich ausbreitet, entlang der Schlei und ins hügelige grüne Hinterland. Besonders gut ist das von der Michaelisallee aus zu erkennen, einem Promenadenweg auf der Höhe, gesäumt von jahrhundertalten Bäumen. Natürlich geraten auch hier die Türme in den Blick. Der vom Dom wurde Ende des 19. Jahrhunderts auf Willen und mit einer Spende des Kaisers gebaut. Als Zeichen der preußischen Herrschaft über die Provinz Schleswig-Holstein. Schleswig war damals deren Hauptstadt gewesen. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg, dann wurde Kiel zur neuen Landeshauptstadt gekürt. Das mag den Stolz der Schleswiger gekränkt haben. Schließlich hat ihre Stadt eine lange geschichtliche Tradition. Die begann schon nach der vorletzten Jahrtausendwende, als die Wikingersiedlung und mittelalterliche Handelsstadt Haithabu auf der südlichen Seite der Schlei zerstört worden war. Damals zogen die Überlebenden zum Nordufer und gründeten Schleswig. Fünfhundert Jahre später gelangten die mittlerweile hier ansässigen Herzöge von Gottorf zu maßgeblichem Einfluss in Europa. Der Höhepunkt ihres Aufstiegs in der Ferne, zuhause hatte schon der dänische König wieder das Sagen, war das Einheiraten in die russische Romanow-Familie. Im Jahre 1762 wurde der Sohn eines Holsteinisch-Gottorfer Herzog als Peter III. zum Zaren gekrönt. Verheiratet war er mit Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst, der späteren Zarin Katharina II. die Große. Das Schloss Gottorf in Schleswig ist auch ein Ort, der von der deutsch-russischen Geschichte erzählt.
Nun wandert der Blick noch einmal zum Wiking-Turm. Als er in den 70er Jahren geplant und gebaut wurde, gab es großen Protest. Mittlerweile ist das Unikum zu einer Landmarke an der Schlei geworden und Element der Stadtlandschaft. Auch wenn mir der Turm nicht gefällt, mag ich ihn nicht als störend bezeichnen. Andernorts wirken Hochhäuser an Stränden aufdringlicher.
Im neuen Jahrtausend ändert sich Schleswig weiter. Am östlichen Rand der Stadt, direkt am Ufer der Schlei, wächst auf einer militärischen Konversionsfläche das neue Stadtviertel „Auf der Freiheit“. Es weist mit seiner Architektur und Freiraumgestaltung all jene Attribute auf, die modernen Siedlungen eigen sind: Gleichförmigkeit und Individualität zugleich, bis hin zu den Balkonmöbeln. Doch begleitet von Wind und Wellen wird sich auch das im Laufe der Zeit in die Stadtlandschaft Schleswig einfügen. Ganz ohne einen neuen Turm.