Was den ehemaligen Verkehrsminister Krause mit Goethe verbindet
„Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige tun.“ Spricht der fast achtzigjährige Johann Wolfgang von Goethe zu seinem Sekretär Eckermann am 23. Oktober 1828. Erlebt hat der Dichter die Eisenbahnpremiere in Deutschland nicht mehr. Sie fuhr 1835, drei Jahre nach seinem Tod, erstmals von Nürnberg nach Fürth. Doch seine Worte klingen prophetisch und bestätigten sich ab 1990 aufs Neue.
Zunächst jedoch startet im Mai 1991 der ICE von Hamburg nach München und fährt über die Hochgeschwindigkeitsstrecke Hannover – Würzburg am Osten des Landes vorbei. Als die Strecke geplant wurde, war Deutschland geteilt. Offensichtlich hatte auch im Westen keiner geglaubt, dass sich daran schnell etwas ändern könnte. Im gleichen Jahr 1991 beschloss die Bundesregierung die unter Leitung des damaligen Verkehrsminister Krause erarbeiteten „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“, um leistungsfähige Verkehrswege zwischen Ost und West herzustellen. Das war zugleich der Weg, die großenteils marode Verkehrsinfrastruktur der DDR zu erneuern. Neun Schienen-, sieben Straßenprojekte und ein Wasserstraßenprojekt wurden auf den Weg gebracht und sind zu über 80 Prozent fertiggestellt (Quelle: BMVI). Das steht ohne Zweifel auf der Haben-Seite von 25 Jahren Deutsche Einheit.
Der „geteilte Himmel“ über Berlin ist (Literatur-)Geschichte. Symbolträchtig wurde im Mai 2002 der unterbrochene S-Bahn-Ring wieder geschlossen. Die Freude währte indes nicht lange. Aus dem zuverlässigsten Verkehrsmittel der Stadt wurde in den folgenden Jahren das unberechenbarste, und das wird nur übertroffen vom Bau des neuen Hauptstadtflughafens… Dafür lässt sich auf dem Mauerradweg entlang der ehemaligen Grenze viel Interessantes entdecken.
1998 wurde die Schnellstrecke von Hannover nach Berlin eröffnet, deren Planung schon in den achtziger Jahren zwischen der DDR und der BRD vereinbart worden war. Jetzt konnte man mit dem ICE-Sprinter in dreieinhalb Stunden vom Bahnhof Zoo nach Frankfurt am Main fahren. Acht Jahre später ging mit einer phantastischen Lasershow der neue Hauptbahnhof in Betrieb.
Wenn im nächsten Jahr die Schnellstrecke über Erfurt nach Nürnberg fertiggestellt sein wird, dann gibt das zusammen mit der bereits ausgebauten Trasse nach Hamburg eine weitere schnelle Nord-Süd-Verbindung der Bahn, im Osten des Landes. Fünfundzwanzig Jahre nach der ICE-Premiere.
Doch in die Provinz gelangt man immer noch am besten (und oft auch billiger) mit dem Auto. Das deutsche Fernstraßennetz ist gut ausgebaut, hat jedoch einen im Wortsinne kapitalen Mangel: seine Erhaltung wurde lange Zeit vernachlässigt. Und die neuen Straßen im Osten kommen in die Jahre…
Das Zusammenwachsen der deutschen Verkehrsinfrastruktur ist weitestgehend gelungen. 25 Jahre Deutsche Einheit sind für Planung und Realisierung von großen Verkehrsinfrastrukturprojekten kein langer Zeitraum. Doch traurig stimmt etwas anderes: die Kappung von Eisenbahnverbindungen zu den europäischen Nachbarn. Von Berlin aus gelangt man nicht mehr direkt über Prag nach Wien, von Frankfurt aus nicht mehr über Dresden und Breslau nach Warschau, von München aus nicht mehr nach Rom. Nachtzüge wurden gestrichen. Die Deutsche Bahn hat sich aus dem europäischen Gemeinschaftsprojekt Thalys zurückgezogen. Das alles hat viele Ursachen. Doch manchmal beschleicht einen das ungute Gefühl, die schlechter gewordenen Verkehrsverbindungen sind ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt beim Miteinander im Hause Europa. Freuen wir uns deshalb über die Schweiz, die Alpentunnel baut, und über die Dänen, die sich an den Fehmarnbelt-Tunnel wagen.
Um noch einmal auf den alten Goethe zurückzukommen. Meine Mutter hatte den eingangs zitierten Text (in voller Länge) auf Maschine geschrieben und an die Innenwand ihres Schreibschranks geheftet. Das war in den sechziger Jahren in Dresden…