Vor zwei Jahren schrieb ich meine Reiseskizzen aus Mitteleuropa „Erlesenes und Erfahrenes“. Dafür beschäftigte ich mich auch mit der Geschichte seiner „Randregionen“. Das sind die heutigen Benelux-Länder, Elsass-Lothringen, Südtirol, Siebenbürgen, Galizien und schließlich Schleswig-Holstein. Was ich über Letzteres erfuhr, berichtet gleich das erste Kapitel meines Buches. Es heißt „Überfahrt I – Nord-Ostsee-Kanal“. Dort taucht der Name des Herzoggeschlechts der Gottorfer noch nicht auf, doch die politischen Zeitumstände ihrer Herrschaft schon.
Nun bin ich, wie schon beschrieben, neulich in Schleswig gewesen und habe auch das Schloss Gottorf gesehen. Im dortigen Museumsshop fand ich allerdings kein Buch über die herzogliche Familie. Wieder nach Dresden zurückgekehrt stieß ich bei der Online-Recherche auf den kleinen, aber sehr informativen Band „Kleiner Staat ganz groß – Schleswig-Holstein-Gottorf“ [Autor: Dieter Lohmeier; Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co. Heide, 1997].
Bei einem der von 1544 bis 1773 regierenden Gottorfer Herzöge las ich mich fest – Friedrich III., der von 1597 bis 1659 lebte. Seine Regentschaft begann 1616. Da hatte er schon eine umfassende Ausbildung und die für den Hochadel übliche Kavalierstour an die europäischen Höfe absolviert. 1630 heiratete er die zwanzigjährige kursächsische Prinzessin Maria Elisabeth. Zwei Wochen lang feierte man das in Dresden. Aus der Ehe gingen sechzehn Kinder hervor. Einige von ihnen wurden standesgemäß verheiratet. Tochter Hedwig Eleonora (1636-1715) vermählte sich 1654 mit dem schwedischen Königs Karl X. Gustav und wurde somit Königin von Schweden.
Was hat das nun mit meiner Oma zu tun?
Trotz oder wegen der politischen und militärischen Wirren des Dreißigjährigen Kriegs war Herzog Friedrich III. auch ein wirtschaftlich engagierter Landesvater. Nachdem er bereits einige regionale Aktionen gestartet hatte, versuchte er in den internationalen Seidenhandel einzusteigen. Die Lage seiner vielen kleinen Ländchen zwischen den Meeren Nord- und Ostsee sah er dafür als logistischen Standortvorteil. 1635 begann die „Gottorfer Gesandtschaft nach Moskau und Persien“, die bis 1639 andauerte und letztendlich ohne Erfolg blieb. Weder Zar noch Schah wollte sich auf das Geschäft einlassen. Dabei hatte der Herzog neben seinen Händlern auch einen Intellektuellen mit auf die Reise geschickt, seinen Hofgelehrten Adam Olearius (1599-1671). Den ernannte er zum Sekretär der Gesandtschaft. Olearius sollte nicht nur den diplomatischen Schriftverkehr abwickeln, sondern auch Geografie und Geschichte der bereisten Länder erkunden.
Aus seiner Studienzeit in Leipzig kannte Olearius den jüngeren sächsischen Arzt und Dichter Paul Fleming (1609-1640), den er förderte. Er legte ein Wort für ihn beim Herzog ein und der Poet durfte als Hofjunker die Gesandtschaft begleiten. Als ich seinen Namen las, erinnerte ich mich an ein Denkmal, das auf dem Marktplatz im erzgebirgischen Hartenstein steht. Ich „googelte“ und tatsächlich, es ist derselbe Mann. Paul Fleming wurde in Hartenstein geboren. Aus dem Ort stammen auch meine Oma Martha und ihre sieben Geschwister.
Als Kind fuhr sie oft mit mir dorthin. Dann liefen wir immer über den Marktplatz, um von einem Großonkel zum nächsten zu gelangen. Paul Fleming schaute jedes Mal über uns hinweg und verriet meiner Oma und mir nichts über den Gottorfer Herzog und dessen berühmte Gesandtschaft. Vielleicht dachte der Dichter nur „An sich“:
„Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren;
nimm dein Verhängnis an. Laß alles unbereut.
Tu, was getan muß sein, und eh man dir′ s gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.“
[„An sich“, https://www.gedichte-lyrik-online.de/an-sich.html, Aufgerufen am 21. Mai 2023]