Mit Theodor Fontane an die Ostsee

Seit fast achtzig Jahren gehört Świnoujście zu Polen. Im ehemaligen Swinemünde verbrachte Theodor Fontane seine Kindheit. Neulich fuhren wir dorthin. 

An der Swine

Zwei siebenjährige Jungen fahren an die Ostsee. Der eine heißt Henri Theodor Fontane, der andere bin ich.

Im Sommer 1961 fuhren meine Mutter und ich über Berlin nach Binz auf Rügen. Dort sah ich zum ersten Mal das Meer. Im Jahr darauf verbrachten wir die Ferien an den Seen im Ruppiner Land. Wir besuchten auch die kleine Stadt Neuruppin. Theodor Fontane kannte ich damals noch nicht.

1827 zog Theodor Fontane von seinem Geburtsort Neuruppin aus mit Eltern und Geschwistern  nach Swinemünde auf Usedom. Der Vater hatte hier eine Apotheke übernommen. Drei Tage brauchten  sie für die Reise in der Kutsche. Fünf Jahre blieben sie, dann kehrte die Familie nach Neuruppin zurück. An die Zeit in Swinemünde erinnert sich Fontane im autobiografischen Roman „Meine Kinderjahre“:

„Swinemünde war, als wir im Sommer 1827 dort einzogen, ein unschönes Nest, aber zugleich auch wieder ein Ort von ganz besonderem Reiz; dabei aller Unbelebtheit der Mehrzahl seiner Straßen zum Trotz, von jener eigentümlichen Lebendigkeit, die Handel und Schifffahrt gebenGerade dass hier alles nur ein Mittelmaß hielt und nirgends an das Große der der wirklich großen Handelsemporien erinnerte … lieh allem etwas überaus Anheimelndes.“

Vor wenigen Wochen machten wir ein paar Tage Ferien in Świnoujście, wie die Stadt heute heißt. Wir reisten über die Stettiner Autobahn und die Insel Wollin an. Ein neuer Straßentunnel unter der Swine verbindet sie mit Usedom. Nur wenige Kilometer weiter erreichten wir unser Urlaubsziel. Tags darauf durchstreiften wir die Stadt. Sie vermittelt noch heute an manchen Stellen zwischen Meer und Fluss das Flair jener kleinen Hafenstadt, das Fontane beschrieb. Trotz zahlreicher Neubauten der siebziger Jahre. Fontanes Kindheitserinnerungen übrigens fanden wir, Zufall oder nicht, schon bald in der Kunst – Buch – Handlung im Bahnhof von Ahlbeck.

Hafendirektion Swinemünde

Als die Familie Fontane nach Swinemünde zog, war das eine deutsche Stadt. Deren Geschichte bis ins Mittelalter zurückreicht. Sie wurde als Fischersiedlung gegründet und später zur Wehrbefestigung an der Swinemündung ausgebaut. Während der Schwedenzeit nach dem Dreißigjährigen Krieg  versandete die Swine. Im 18. Jahrhundert mit der erneuten Herrschaft der Preußen über Usedom und Wollin wurde der Fluss wieder schiffbar gemacht. Im 19. Jahrhundert kam noch ein Kanal ins Haff dazu, so dass Schiffe auf kurzem Wege von und nach Stettin fahren konnten. Bereits 1824 wurde das See- und Solbad Swinemünde eröffnet. 1848 bis 1880 baute man die Festung Swinemünde aus, deren Forts noch heute besichtigt werden können. Zu jener Zeit lebte Theodor Fontane schon lange nicht mehr hier. War Apotheker, Journalist und Schriftsteller in Berlin geworden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Swinemünde ebenso wie Stettin dem neuen polnischen Staat zugeschlagen und damit Ausland. Seit dem Umbruch 1989/90 und dem EU-Beitritt Polens 2004 kann man wieder ungehindert die gesamte Insel Usedom erlaufen und erfahren. Beiderseits der nahezu unsichtbaren Grenze kehren die Seebäder zu altem und neuem Glanz zurück.

Theodor Fontane lebte von 1819 bis 1898. Polen als Staat existierte in jener Zeit nicht. Bei seinen Reisen in die Neumark „Jenseits der Oder“ und ins Hirschberger Tal blieb er in Preußen. Mittlerweile wurde Fontane auch für unsere östlichen Nachbarn interessant. Literaten und Historiker sehen schon Fontane in Polen. „Effi Briest“ gerät ins Blickfeld. Ein Handlungsort des Romans heißt Kessin. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Stadt seiner unbeschwerten Kindheit, Swinemünde.

Für die Rückreise von der Ostsee wählen wir eine Route durch die ehemalige Neumark. Wir fahren durch kleine polnische Städte, von deren früheren deutschen Geschichte und namhaften Einwohnern Theodor Fontane in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ erzählt.

 

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