Vor zehn Jahren – als Preußen Sachsen küsste

Als ich vor zehn Jahren von Dresden nach Berlin geradelt bin, war die Tour für mich ein besonderes Ereignis. Noch mehr als das verblüfft, was dem folgte.

Heute jährt sich zum zehnten Mal der Tag, an dem ich meine Radtour von Dresden nach Berlin startete. Die Sonne scheint und ich fahre dorthin, wo der Weg in die weite Landschaft beginnt. Ich hatte ja damals eine Route geplant, die der Bahnstrecke so nah wie möglich folgte. Und so sehe ich auch heute die Eurocity-Züge wieder dort, wo sie das Elbtal verlassen bzw. erreichen. Die Berliner Strecke am Nordhang kommt hier auf rund einhundert Meter an einen alten Obelisken heran. Dieser steht neben der Leipziger Schiene, die in der alten Tunnelsenke verläuft, und erinnert an das vor fast zweihundert Jahren von Bergleuten errichtete Bauwerk. Mein Ziel für den heutigen Ausflug.

Die Idee, von Dresden nach Berlin zu radeln, hatte ich schon länger. Jahrzehntelang war ich mit der Eisenbahn bzw. im Auto zwischen den beiden Städten hinundher gependelt. Als ich mich am 27. August 2013 auf den Weg machte, ahnte ich nicht, welche Folgen das Ganze haben würde. Zunächst freute ich mich einfach, die Tour gut bewältigt und unterwegs viele freundliche Leute getroffen zu haben.

Die erste Tagesetappe endete damals in Doberlug-Kirchhain mit dem Besuch der Brandenburgischen Landesausstellung im rekonstruierten und soeben neu eröffneten Schloss. Die Ausstellung trug den Titel „Wo Preußen Sachsen küsst – Szenen einer Nachbarschaft.“ Was sich zunächst wie ein „Highlight“ meiner Radtour anfühlte, wurde rasch die Grundlage für ein umfängliches Studium der Geschichte. Ich hinterfragte zuerst die historischen Ereignisse in Preußen und Sachsen, mit denen Schloss Doberlug und damit die Lausitz konfrontiert waren. Das klang spannend und ich entschloss mich, weitere Radtouren in der Region zu unternehmen. Entlang der Flüsse Neiße und Oder, Spree und Schwarze Elster sowie in west-östlicher Richtung bis zur polnischen Grenze, später auch darüber hinaus. Was ich erlebte und hinterfragte, beschrieb ich in Blogbeiträgen und 2017 erschien schließlich der „Lausitz-Report. Erfahren durch erfahren.“ Damit hörte ich aber nicht auf. Eng ist die Geschichte von Brandenburg-Preußen und Sachsen mit der von Böhmen und Schlesien verbunden. Mein Fahrrad blieb das Vehikel, mit dem ich die nunmehr weiter gefasste Region erkundete. Bis nach Prag an der Moldau. Was mir zu weit war, oder als Einzelradler zu strapaziös erschien, dorthin fuhr ich im Auto und im Zug. 2019 erschien die zweite Publikation „Unterwegs zwischen Elbe und Oder“. Da hatte ich bereits die nächsten Touren im Hinterkopf: Zwischen Donau und Weichsel. Doch die Corona-Epidemie unterbrach alle Reisen. Deshalb musste ich eben zuhause die Geschichte der mitteleuropäischen Länder und Regionen intensiver studieren. Das wurde eine aufwändige Angelegenheit, die mir aber viel neues Wissen über Ereignisse und Zusammenhänge bescherte. Zugleich stellte ich fest, viele der „Orte des Geschehens“ kannte ich schon von beruflichen und privaten Aufenthalten bzw. Reisen. Ich nutzte die Zeit und Ende 2021 war ich mit dem dritten Buch „Erlesenes und Erfahrenes – Skizzen aus Mitteleuropa“ fertig.

Einmal begonnen, fällt es schwer wieder loszulassen. So auch beim Studium der Geschichte. Vieles hängt miteinander zusammen und bringt überraschende Erkenntnisse. Mittlerweile habe ich mich noch mit Russland, dem Baltikum und dem Balkan befasst. Auch hier verbinden sich die historischen Fakten mit Erlebnissen in der Sowjetunion, in Bulgarien und Rumänien, auf Kreta und in Italien.

Der Eurocity von Prag nach Berlin ist am Obelisken vorbeigerauscht. Ich steige aufs Rad und fahre zurück. Es ist immer noch der gleiche Drahtesel wie vor zehn Jahren, als Preußen Sachsen küsste.

 

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