Seit 1957 fährt – mit Unterbrechungen – der Vindobona-Express zwischen Berlin und Wien. Auch der Eiserne Vorhang hielt den Zug nicht auf, der zwei Städte und eine wechselvolle Geschichte verbindet.
Das mit der deutschen Einheit im Jahre 1990 entstandene Neue Berlin machte sich auf, europäische und Weltmetropole zu werden. Mit London und Paris wollte man sich messen, einige Enthusiasten sahen es sogar in einer Liga mit New York. Da bekanntlich nicht alle „Knabenmorgen-Blütenträume“ reifen, wie schon Goethes Prometheus wusste, blieb trotz vieler kreativer Anstrengungen und Erfolge die Ernüchterung nicht aus.
Als ich im vergangenen Jahr für mein Studienbuch zur Stadtentwicklung von Berlin recherchierte, trat mir die viel substanziellere Verbindung von Berlin und Wien deutlich vor Augen. Sie hat historische, kulturelle und urbane Dimensionen. Beide sind Hauptstädte mit einer wechselseitigen Geschichte.
Vindobona bezeichnet ein römisches Legionslager, eine Militärsiedlung und eine Zivilstadt am Limes Pannonicus auf dem heutigen Gebiet von Wien. Gegründet im ersten Jahrhundert n.Chr. zu einer Zeit, als im sumpfigen Land an der Spree noch keine Menschen hausten. Im 12. Jahrhundert begann der Aufstieg Wiens zur Hauptstadt des Herzogtums Österreichs, das ab 1282 von den Habsburgern beherrscht wurde. Rund zweihundert Jahre später übernahmen die Hohenzollern die Mark Brandenburg und wählten Berlin-Cölln zu ihrer Residenz. Wenige Jahrzehnte später hatten es die Herren in Wien bis zur Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches gebracht. Die Kurfürsten/Könige an der Spree mussten sich ihnen unterordnen. Vermutlich deshalb half der Große Kurfürst, gerade mit dem Bau neuzeitlicher Befestigungsanlagen in Berlin beschäftigt, 1683 den Habsburgern nicht, in Wien den zweiten Ansturm der Türken abzuwehren. Bald jedoch annektierte Preußenkönig Friedrich der Große 1740 das bis dahin habsburgische Schlesien, um seiner Widersacherin Kaiserin Maria Theresia die Macht im Reiche streitig zu machen. Die Napoleonischen Kriege brachten die Oberen in Berlin und Wien zwangsweise zusammen, bevor anno 1866 mit der Schlacht von Königgrätz der Deutsche Bund zerstört wurde und Österreich seinen eigenen Weg gehen musste.
Zu jener Zeit aber schon hatten die industrielle Revolution und das Bevölkerungswachstum einen gewaltigen Druck auf die Stadtentwicklung von Berlin und Wien erzeugt. Die Befestigungsanlagen mussten weichen. 1857 veranlasst Kaiser Franz Joseph deren Auflassung. Ihre Fläche wurde sofort in die Stadtplanung einbezogen und führte zum Großprojekt Ringstraße. Hier entstanden prächtige öffentliche Gebäude im Baustil des Historismus, bis heute ein Wahrzeichen von Wien. Nachdem es in Berlin bereits 1861 zu einer großen Stadterweiterung gekommen war, riss man ab 1866 auch hier die Befestigungsmauern ab. Damit war Platz geschaffen, die Stadtbahn zu bauen. 1882 eröffnet, bildet sie mit der bereits 1877 vollendeten Ringbahn die prägende Struktur der Berliner Innenstadt.
Ab 1871 gab es zwei Kaiserreiche im deutschsprachigen Raum, die sich miteinander arrangierten. Das förderte auch den Austausch in Wissenschaft und Kultur. Schriftsteller und Maler, Architekten und Baumeister wirkten sowohl an der Donau als auch an der Spree. Dazu gehörten auch die Künstler der „Secession“ in Berlin und Wien. Ihnen, und ihren damaligen Kollegen in München ist die aktuelle Sonderausstellung „Klimt, Stuck, Liebermann“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin gewidmet.
Heute ist die Zusammenarbeit von Menschen aus Berlin und Wien Alltag. Für sie und zahlreiche Touristen, vor allem aus überseeischen Ländern, ist der Vindobona-Express eine Möglichkeit, zwischen beiden Städten hin- und herzureisen.
Ab dem Jahre 1965 beförderte auf der Strecke Berlin-Prag-Wien ein moderner Triebzug der Deutschen Reichsbahn die Fahrgäste. Ich durfte 1966 (!) von Prag nach Dresden mitfahren. Derzeit wird auf privater Basis einer dieser Schnelltriebzüge revitalisiert. Dem zugehörigen Förderverein für den Triebzug SVT 175 gehöre ich seit 2020 an.
Nachtrag: In diesem Jahr erschien das Buch „Wien – Berlin, Wo die Moderne erfunden wurde“ (Autor Jens Wietschorke, Reclam Verlag). Leider hält der Inhalt nicht, was der Titel verspricht. Es handelt sich jedoch um eine gut lesbare Beschreibung der Klischees, die den beiden Städten über die Zeit hinweg angeheftet wurden.