Die aufregenden Jahre aus der Sicht eines Beteiligten
„Berlin ist die Werkstatt der deutschen Einheit“. Dieser Satz wurde häufig gebraucht, vor allem in den 90er Jahren. Ich hörte ihn zum ersten Mal vom damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Sozusagen vom Werkstattmeister. War es auch eine Meisterwerkstatt mit hoher Qualität?
Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der BRD bei nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Die deutsche Teilung war politisch überwunden worden. Kurz zuvor, am 1. Juli 1990, startete die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen den bis dato zwei deutschen Staaten. Aus Ost- und Westberlin wurde wieder ein Berlin. „Eine Stadt wie keine andere“ hat sie Bernt Engelmann tituliert.
Ich habe in der Werkstatt gearbeitet. Seit 1985 war ich Fachdirektor für Elektrotechnische Anlagen in der Ostberliner-Bezirksdirektion für Straßenwesen. Mehr als zweihundert Mitarbeiter planten und errichteten Lichtsignalanlagen zur Verkehrsregelung und die elektrische Straßenbeleuchtung, vom Kabeltiefbau bis zur elektronischen Steuerung. Einen großen Umfang nahm die Instandhaltung der Anlagen ein. Kein leichtes Unterfangen in Anbetracht der bekannten Engpasssituation bei vielen Ausrüstungsteilen. Dann wurde auch das Personal knapp. Die Ausreisewelle hinterließ Lücken.
Im Herbst und Winter 1989/90 geriet die Bezirksdirektion zunehmend in eine desolate Situation. Deshalb wollten wir den Fachbereich Elektrotechnische Anlagen dort herauslösen und als selbständigen Betrieb weiterführen. Ich entwickelte ein Unternehmenskonzept und verfolgte es zielstrebig mit einigen engagierten Kollegen. Dabei musste die immer ungeduldiger werdende Belegschaft eingebunden werden. Bei alledem änderten sich fast täglich die Umstände. Die staatliche Treuhandanstalt nahm ihre Arbeit auf und die Betriebe wurden in Kapitalgesellschaften umgewandelt. Zehn Tage vor Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion gründeten wir die Berliner Licht- und Signaltechnik GmbH (BLS) und ich wurde ihr Geschäftsführer. Wir arbeiteten ohne Unterbrechung weiter.
In der künftigen Werkstatt für die deutsche Einheit rang man bereits vordem um Personal und Kunden. Schon kurz nach Öffnung der Grenze im November 1989 gab es erste Kontakte mit unseren „Pendants“ in West-Berlin. Das war normal, denn die Arbeit spielte sich im öffentlichen Straßenraum ab. Hier wie „drüben“ standen Ampeln und Laternen. Wenn nun der östliche Teil dem westlichen beitreten sollte, und zudem von diesem die Währung kam, dann war für eine Reihe von Leuten klar, wer auf Berlins Straßen künftig das Sagen haben würde. Nicht nur einmal wurde ich gefragt, ob denn unsere Vorbereitungen für die Betriebsgründung noch nötig seien… Dass sie dennoch stattfand und wirtschaftlich ein Erfolg wurde, haben wir einigen Verantwortlichen in Ost und West mit zu verdanken. Herbert Liman, der damalige Abteilungsleiter Verkehrswegebau beim Berliner Senat zählte zu den fairen und verlässlichen Partnern, ebenso Herr Dr. Beyer vom Energieversorger BEWAG. Andere warfen uns Knüppel zwischen die Beine. Wir stolperten, fielen aber nicht hin.
Arbeit gab es viel in der Werkstatt der deutschen Einheit. Getrennte Straßen wurden verbunden und mit Licht erhellt. Die Verkehrsströme zwischen Ost nach West nahmen erheblich zu. Verkehrslenkung in alle Bezirke und ins Brandenburger Umland war erforderlich. Der durch die Mauer bedingte West-Berliner „Inselbetrieb“ im Straßenverkehr hörte auf und ein modernes Verkehrsmanagement trat Schritt für Schritt an seine Stelle.
Anfänglich gab es noch lokale „Arbeitsteilungen“ für Ost- und Westberliner Unternehmen aufgrund bestehender Verträge. Doch spätestens Mitte der neunziger Jahre war Wettbewerb unumgänglich geworden. Das mussten nicht nur wir ehemaligen Ostberliner lernen… Der Sonderfall Westberlin hatte sich in vielen Köpfen festgesetzt. Mentaler Wandel und Zusammenwachsen der Stadt waren das, was in der Werkstatt der deutschen Einheit geleistet werden musste. Ob Meisterleistung oder nicht, es hat uns zusammengebracht. Ich bin sehr dankbar dafür, diese Zeit in dieser Stadt erlebt zu haben.
Die Berliner Licht-und Signaltechnik GmbH wurde Ende 1991 von der Treuhandanstalt an ein ähnlich geartetes Unternehmen aus Frankfurt am Main verkauft. Berlin war interessant geworden.